Samstag, 26. September 2015

Selbstdarstellung

Ich werbe für mich selbst, ein Buch, das ich geschrieben habe. Das stellt sich aus verschiedenen Gründen schwierig dar. Die Möglichkeiten, günstig oder sogar kostenlos zu werben sind zwar da, doch die Resonanz ist gering. Vielleicht ändert sich das, wenn auf den unten angegebenen Seiten häufiger Lesungen, Bücher und Schreibkurse angeboten werden.
Oder ist das Produkt Buch antiquiert?

Dann gibt es noch das Hemmnis der geisterhaften Stimmen:

So etwas tut man nicht! Sich selbst darzustellen, in den Mittelpunkt zu rücken ist unanständig. Liederlich!
Wenn es wenigstens etwas Anständiges wäre, ein nützliches Produkt in Masse. Eines, das Arbeitserleichterung bedeutete oder andere Vorzüge hätte. Aber ein BUCH?
Ist es perfekt, gibt es keine Einwände. Wenn es Millionen in die Kasse spült, sagt niemand etwas dagegen. Und so eines soll dein Buch sein?
Schämst du dich nicht deiner Überheblichkeit?
Wenn du wirklich etwas Ordentliches zustande gebracht haben solltest, fragt man sich doch, weshalb sich niemand findet, der die Werbung übernimmt? Ein Verlag zum Beispiel, die Medien. Warum sitzt du nicht längst in einem der breiten Sessel bei Giovanni di Lorenzo? Der nämlich nur für die wirbt, die es ganz bestimmt verdient haben!

Ohne Werbung verkaufe ich kein Buch. Gelernt habe ich die Selbstdarstellung nicht, möchte sie aber begreifen und für mich nutzen, tue es zum Teil schon und mühe mich damit herauszufinden, welche Möglichkeiten sich für die Werbung bieten.
Der immer gern zitierte Eisberg kann sich hier einmal ordentlich in Szene setzen. Dabei bildet seine winzige Spitze die reine Schreibzeit, in der ich kreativ arbeite, das monströse Untere spiegelt den Verkauf.

Reklame!
In Lesungen bekomme ich den persönlichen Kontakt,
über Flyer, Plakate, Postkarten, Facebook, Mundprobaganda und Zeitungsartikel bewerbe ich die Veranstaltung und mein Buch.
Außerdem gibt es ein paar Möglichkeiten, günstig oder kostenlos zu werben, und zwar hier:

www.exxtraseiten.de
Auf den Frauenbranchen-Seiten könnt ihr kostenlos auf der Infobörse werben, für eine 'anständige'  Anzeige bezahlt ihr wenig.
www.mix-online.de
Meine Lesungen kann ich kostenlos einstellen, für die Bewerbung von Kursen zahle ich 10,- Euro  für 96 Zeichen.
www.markt.de
www.ebay-kleinanzeigen.de
www.abisz-anzeigen.de
www.meinestadt.de
www.markt.weser-kurier.de 
www.quoka.de
www.bremen.de
Schwarzes Brett, geringe Kosten
www.local24.de
www.kalaydo.de

Wichtig ist eine Auswahl an Texten, denn auf jedem der Werbeforen ist der Platz unterschiedlich lang bemessen. Es gibt sogar Marktplätze, an denen ihr euch uneingeschränkt ausbreiten dürft. Fast überall könnt ihr mehrere Fotos hochladen und damit eure Präsenz erhöhen.

Viel Erfolg und einen sonnigen Wochenendtag!

Sylvia

Donnerstag, 24. September 2015

Exxtra Seiten: Suchen und Finden

Liebe Autorinnen und sonstige Frauen, die für sich werben wollen,
heute gibt es einen Beitrag für euch. Und für die, die auf der Suche sind.

Auf den Exxtraseiten, dem Bremer Frauenbranchenbuch von Andrea Buchelt und ihren Kolleginnen, findet ihr ca. 250 Anbieterinnen von Produkten und Dienstleistungen. Natürlich könnt ihr auch selbst hier für wenig Geld oder kostenlos bewerben, was ihr anzubieten habt.
Unter der Rubrik "Infobörse" findet ihr zum Beispiel meinen Schreibkurs.
Außerdem gibt es - und dafür bedanke ich mich noch einmal herzlich bei Andrea Buchelt - ein Porträt von mir.

Ein Blick in die Exxtra Seiten:
www.exxtraseiten.de
www.facebook.com/ExxtraSeiten

Weitere Werbe-Tipps und -Seiten teile ich in den nächsten Tagen mit euch.

Bis dahin herzliche Grüße
Sylvia

Sonntag, 20. September 2015

Psychodrama in Fischers Treffpunkt

Ich lese wieder aus dem Roman "Spiel der Tänzerin"

am Freitag, den 2. Oktober 2015
um 19.00 Uhr
in Hanni und Hanns-Gerd  Fischers Bridge-Treffpunkt
"Fischers"
Friedrich-Karl-Str. 101
28211 Bremen

Das Ehepaar Fischer bewirtet die Gäse mit Wasser und Wein, süßen und herzhaften Kleinigkeiten und viel Charme.

Wenn ihr neben meiner Lesung Interesse am Bridge habt, könnt ihr euch gern mit Fischers in Verbindung setzen:

Fischers Treffpunkt
0421-46889636 oder 494577
www.fischers-treff.de
hg-fischer@fischers-treff

Neben dem Bridgespiel werden Ausstellungen und  Lesungen geboten. Außerdem vermieten Fischers die Räume vormittags und am Wochenede, z.B. für Kurse.

Ich freue mich über euren Besuch zu meiner Lesung, auf anschließende Gespräche und Fragen.
Wie jedes Mal sammle ich Spenden für die Bremer Tafel.
    

Samstag, 19. September 2015

Auf die Bühne!

Das Schreiben von Geschichten mit allem Drum und Dran (Streichen, Feilen, Verzweifeln, Glücklichsein, ...) ist die eine Seite des Geschäfts, die Werbung für das eigene Werk die andere.
Zur Werbung gehört für Schriftsteller das Lesen vor Publikum. Die Zeiten der sensiblen Genies, die es sich leisten können, unbehelligt von der Welt in ihrer Klause zu hocken, scheinen vorüber. Ausnahmen zählen nicht.
Viele Autorinnen und Autoren haben panische Angst vor dem öffentlichen Auftritt - genauso wie ich vor einem halben Jahr noch.
Dass sich Ängste entwickeln, wenn wir vor den Augen und Ohren anderer etwas leisten müssen, ist nicht ungewöhnlich.

Als Grundschulkind durfte ich ein Schneeflöckchen unter vielen mimen. Ich glaube, wir waren zwei Dutzend kleiner Mädchen in weißem Tüll, die hinter der Bühne auf ihren Auftritt warteten. Der konnte erst einmal nicht stattfinden, weil sich eins der Flöckchen, nämlich ich, übergeben musste. "Das kotzende Schneeflöckchen", mag sich der eine oder andere Zuschauer des dörflichen Weihnachtsspektakels in den Bart gegrinst haben, während meine Mutter und andere Frauen auf den Knien lagen, um die Bescherung vom Boden und den Tüllröcken zu putzen.
Auch in den Jahren danach, die mit weiteren Theaterkatastrophen, Klassenarbeiten und  Prüfungen gespickt waren, wurde das Lampenfieber nicht besser. Tränen, Kreislaufschwäche, völliges Verstummen, wasserfallartiger Redefluss, der nichts mit dem abgefragten Thema zu tun hatte, ... ich habe nichts ausgelassen.
Auch meinen Roman wollte ich, als nur noch wenige Kapitel vor mir lagen, nicht beenden. Die Aussicht darauf, ihn vorlesen zu müssen, war unerträglich.

Bis mir die Lösung einfiel: die Vorbereitung mit Profis.

Viola Bauer ist eine von ihnen. Als Schauspielerin, Theaterpädagogin und Autorin weiß sie, worum es auf der Bühne bei einer Lesung geht.
Sie kann hervorragend vortragen und genausogut vermitteln, wie das funktioniert.
Das tut sie jetzt zum zweiten Mal für alle, die Interesse und Bedarf haben im Kurs

Auf die Bühne!

am Samstag, den 24. + Sonntag, den 25. Oktober 2015
jeweils von 10.00 bis 17.00 Uhr in der
Villa Ichon, Raum 2
Goetheplatz 4
28203 Bremen

Der Kurs kostet 15,- Euro und die Teilnehmerzahl ist auf 6 beschränkt.
Meldet euch bis zum 14. Oktober an:
info@literaturkontor-bremen.de oder direkt bei Viola:
rauchzart@gmx.de

Weitere Informationen zu Viola und dem Kurs "Auf die Bühne!" gibt es hier:
http://www.literaturkontor-bremen.de

Diese Vorbereitung, die ich kurz vor meiner ersten Lesung mitmachen durfte, hat mir meine Ängste komplett genommen, und jeder, der einen meiner Auftritte gesehen und gehört hat, kann sich wahrscheinlich nicht vorstellen, dass ich je Schwierigkeiten gehabt habe.

Also ihr Lieben: AUF DIE BÜHNE!

Samstag, 12. September 2015

Christoph - eine Variante

Zeichnung: Otto Hopp
Christoph ist verschwunden. Das würde man sich zuflüstern. Hinter vorgehaltener Hand und mit einem Seitenblick auf die arme Katharina.
Er fragte sich schon lange, wie es wäre, zu verschwinden. Welches Gefühl sich wohl einstellte, wenn man sich plötzlich von der Welt löste? Wer würde ihn vermissen?

Als er sich zum ersten Mal gewünscht hatte zu verschwinden, war er fünf Jahre alt gewesen, saß vor dem Fernseher und folgte einer Show, in der ein Zauberer auftrat. Seine Eltern lachten und bezeichneten den Mann mit schwarzem Zylinder und Frack als Stümper, der seinen Job nicht versteht. Doch Christoph war voller Bewunderung und wollte sich fortzaubern können wie dieser Mann am Ende der Show.

Später veränderte sich das Verschwinden-Wollen. In der Schule war der Wunsch nach einer Tarnkappe in den Fächern Mathematik, Physik, Chemie, Latein und Sport mit jedem Jahr drängender geworden.
Die Zeit der Mädchen überschnitt die Phase der Tarnkappe. Kam ihm eines dieser undurchschaubaren, leichtfüßigen Wesen unverhofft zu nahe, hoffte er inständig, der Boden unter seinen zu großen Füßen, die an dürren Beinen baumelten, möge sich öffnen, ihn mitsamt seines glühenden Gesichts verschlingen.
Mit dem Abstand der Jahre und damit einhergehender Weitsichtigkeit bemerkte er, wie unsinnig seine Wünsche gewesen waren. Wegläufer nannte er sich im Nachhinein. Das war in den Jahren, in denen er sich für unbesiegbar hielt und meinte, die Welt hätte allein auf ihn gewartet.
Aber auch diese Phase war vorübergegangen und die Idee, von einem Moment zum nächsten zu verschwinden, hatte erneut Besitz von ihm ergriffen. Zuerst nur vage und selten, dann oft und konkret. Und das hatte bestimmt nichts mit Katharina zu tun, auch wenn das jeder mutmaßen würde. Am ehesten sie selbst.
Dieses Mal hatte er das Verschwinden gewagt, allerdings ohne es zu planen, mehr intuitiv. So würde Katharina es nennen. Doch Katharina war Vergangenheit. Alles war Vergangenheit, sogar er selbst. Oder vielmehr das Selbst, dass er noch gewesen war, als er am Morgen die Haustür hinter sich zugezogen hatte.

Der Weg zur Arbeit war immer gleich und begann um 6.45 Uhr, auch an diesem besonderen Morgen, von dem noch niemand wusste, wie besonders er werden würde. Vier Meter Waschbeton bis zum Asphalt der Straße, links abbiegen, den Bürgersteig entlang. Umhüllt vom Hupen, Motorengetöse, Rufen, Schimpfen, Hundegebell. Umhüllt und zusammengehalten.
Kurz bevor er den Bahnhof erreichte, sah er, dass sich die Türen des Busses, seines Busses, mit einem Zischen schlossen. Der Motor heulte auf und schon fädelte sich das Fahrzeug in den fließenden Verkehr, entfernte sich brummend wie ein Insekt, das er gerade von seiner Haut gewedelt hatte.
Verdutzt blickte er dem Bus hinterher, warf einen Blick auf die Uhr und stellte fest, dass sie stehen geblieben sein musste. Es war exakt 6.45 Uhr und das konnte nicht sein, denn um exakt 6.45 Uhr war er von zu Hause losgegangen. Wie jeden Morgen.
Natürlich hätte er im Büro anrufen können oder bei Katharina, die sicher noch zu Hause war, weil sie später und mit dem Auto zur Arbeit fuhr. Stattdessen stand er still, die Aktentasche mit den Broten und dem Apfel in der Hand.
Er ließ die Tasche fallen. Der schmatzende Aufprall des Leders auf den Asphalt legte sich wie eine Patina auf seine Wirbelsäule, klatschte auf seine Schläfen. Er fasste sich ins Kreuz wie einer, der einen Stich in den Bandscheiben spürt, tastete die unteren Wirbel hinauf und herab, ließ die Fingerkuppen kreisen und wurde bleich. Lag da nicht eine blättrige Schicht auf ihm, sogar durch den Stoff seines Hemdes spürbar? Vorsichtig zog er am Oberhemd, glitt mit der Hand darunter, bekam einen Zipfel zu fassen, zog und zerrte an den Lappen, die ihn, fest miteinander verbunden, einhüllten.
War ihm nicht gerade heute Morgen der Gedanke gekommen, er würde von Geräuschen zusammengehalten? Konnte das möglich sein? Legte sich das Quietschen von Reifen, das Schreien fremder Kinder, das Dröhnen von Presslufthämmern auf ihn? Seit Jahren? Wohlmöglich schon sein Leben lang? Und hatte er das nicht schon längst geahnt?
Christoph wankte zur Bank im Wartehäuschen. Dieser Mantel, genäht aus Lauten und Tönen, Geraschel und Geprassel, aus Wimmern und Kreischen wog schwer. Das spürte er jetzt und auch, dass er ihn nicht mehr lange würde tragen können. Die Wirbel in seinem Nacken knirschten, als er den Kopf drehte und sah, wie viele Menschen gebeugt über den Asphalt schlichen. Nur die Kinder hopsten noch an den Händen ihrer Mütter, aber schon die älteren mit den Schultaschen auf den Schultern bewegten sich langsam und schwerfällig.
Er klopfte seine Arme ab, dann den Bauch, die Brust, schließlich die Oberschenkel und Knie, die Waden. Da war kein Gefühl. Taub die Gliedmaßen, erdrückt und erstickt. Nicht einmal sein Kneifen in Wangen und Ohrmuschel löste Schmerz aus. Die verfluchten Schichten verhinderten jedes Durchkommen!
Sein eigenes Seufzen erklang von weit her und er lehnte sich zurück, schloss die Augen.

Nur ein paar Minuten später klimperten Absätze. Christoph hörte die Leichtigkeit eines Schritts, das Flattern eines Rocks. Verwirrt riss er die Augen auf.
»Sind Sie nicht von hier?«, wagte er zu fragen, als die junge Frau neben ihm stehen blieb und den Fahrplan studierte.
»Nein, ich bin vom Meer.« Sie lachte und fuhr sich durchs Haar. »Sieht man mir das an?«
»Ja.«
»Und warum?«
»Sie wirken wie ein Schmetterling neben fetten Raupenpuppen.«
Wieder lachte sie. »Das ist doch eine gute Nachricht. Aus Raupen werden Schmetterlinge, zumindest aus den klugen.« Ihr Haar flatterte, als sie den Kopf wand und einem kirschroten Bus entgegensah, der die Haltestelle anfuhr, vor dem Wartehäuschen ausrollte.
»Fahren Sie mit diesem Bus nach Hause, zurück ans Meer?«, fragte Christoph und stand auf, weil er die Antwort längst wusste.

Im Inneren des Busses sog er die Luft ein. Frisch und süß ließ sie sich atmen und leichter, als in den Straßen der Stadt. Die Passagiere, die nicht einmal die Hälfte der Sitze belegten, lachten miteinander. Christopf saß allein, weil er es so wollte. Er mochte nicht reden und er hatte bemerkt, dass die erste Schicht auf seinem Körper Blasen warf. Das musste man niemand anderem zumuten, fand er. Tatsächlich brachen die Pusteln auf und bröckelten wie Farbreste auf den erdbeerfarbenen Sitz. Christoph fegte die Krümel, Brocken und Splitter mit dem Handrücken auf den Boden, der bald rund um seine Füße mit einem fleckigen Teppich seiner Schichten belegt war.
Dann kam die Leichtigkeit. Er lachte über einen Satzfetzen, der an ihm vorbeiwehte, zwinkerte einer kichernden Alten zu, die sich an seinem Sitz vorbeischob. Christoph schälte sich.
Nach zwei Stunden steuerte der Busfahrer einen Rastplatz an und Christopf fühlte sich  derart befreit, dass er meinte, Flugversuche unternehmen zu können. Auf einem verbrannten Stück Gras neben dem Toilettenhäuschen hopste er ein wenig. Auf beiden Beinen, dann auf einem, breitete die Arme aus und ja, beinahe lösten sich die Füße ganz und gar vom Boden.
Schließlich ließ er sich auf die gelben Halme fallen, pflückte den einzigen Löwenzahn weit und breit und blies in die weiße Kugel. Kleine weiße Schirmchen lösten sich, wirbelten davon. Er hätte Katharina mitnehmen können. Sie trug ebenfalls an ihren Schichten, auch wenn sie das nicht wusste. Er jedoch hatte sie gesehen. Lange schon, bevor er überhaupt von der Existenz seines eigenen Ballastes wusste. Der weniger wurde, immer weniger.

Vom Schaukeln des Busses musste er eingenickt sein, denn als er die Augen öffnete, lag weißer Sand vor ihm. In der Nähe rauschte das Meer. Von den anderen Fahrgästen war niemand mehr zu sehen. Nur der Busfahrer hatte sich zu ihm umgedreht und lachte freundlich.
Christoph rappelte sich auf, stieg aus und winkte dem davonbrausenden Bus hinterher. Fedrig fühlte sich sein Körper an und auch sein Kopf lag nicht mehr schwer auf harten Schultern. Er sah an sich herab. Seine Arme waren weiß, als seien sie noch nie dem Licht ausgesetzt worden, durchsichtig beinahe. Beim Aneinanderreiben der Hände spürte er die Weichheit wie ein Nichts. Er strengte sich an, um in der beginnenden Dämmerung seine Umrisse erkennen zu können.
Hier und da hingen noch Fetzen an ihm, doch auch die würde er jetzt lösen. Christoph warf seine Arme in die Höhe, jauchzte, rannte los, riss sich das Hemd vom Oberkörper, schleuderte die Schuhe von sich und zerrte, am Wasser angelangt, an seinem Hosenbund. Das Meer empfing ihn kühl und er rang nach Luft. Doch dann schwamm ein Stück der Schicht auf dem Wasser davon und schon begann er, zu reiben und zu ziehen. Schließlich angelte er eine Muschel vom Grund und schabte mit der scharfen Kante über seine Haut. Das Wasser wurde tiefer, doch er tappte weiter, Schritt für Schritt und schrubbte.
Dann verlor er den Boden. Blickte auf seine Hände. Konnte sie nicht erkennen. Bewegte die Beine auf und ab, fühlte sich schwerelos. So leicht, dass er aufhörte, Widerstand zu leisten. Wurde getragen und würde sich nicht mehr anstrengen müssen.
Er dachte an Katharina.

»Sag mal, ist da nicht gerade noch ein Mann im Meer geschwommen?«
»Ja, einer von den Städtern, einer von denen, die immer so merkwürdig herumplantschen und mit sich selbst beschäftigt sind."
»Und wo ist der jetzt?«
»Na, er wird sich wahrscheinlich genauso aufgelöst haben wie alle anderen vor ihm.«
»Wie die Gespenster, diese Städter.«
»Wie Leute, die glauben, in jedem Kokon sei ein Schmetterling verborgen.«
»Was?«
»Ach nichts.«

Freitag, 11. September 2015

Christoph ist verschwunden

Jutta Reichelt ist Schriftstellerin und lebt in Bremen. Genauso lange wie ich.
Aber nicht nur das verbindet mich mit ihr. Die Texte, die sie schreibt, gefallen mir so gut, dass ich sie immer wieder lese.
Einer dieser Texte heißt "Wiederholte Verdächtigungen", Juttas Roman, der im Frühjahr 2015 erschienen ist. In dem Roman verschwindet Christoph und lässt Katharina ratlos zurück.

Juttas erster Satz, an dem sie sehr hing und der unbedingt am Anfang des Buches stehen sollte, lautete "Christoph ist verschwunden". Im Laufe der Überarbeitung wurde er aber gestrichen.
So ist das. Texte, manchmal nur Fragmente, die uns Autoren lieb und wertvoll sind, als Herzstück der Geschichte dienen sollen, fallen plötzlich dem Korrekturstift zum Opfer. Meistens müssen wir einsehen, dass die Lektoren klüger sind. Oder mächtiger. Oder doof und ungerecht, doch dann bleibt das Buch eventuell in der Schublade.

Für diesen einen Satz (CHRISTOPH IST VERSCHWUNDEN) hat Jutta eine spannende Lösung gefunden, konnte sich entscheiden, ihren Schatz freizugeben, und zwar für alle, die sich Gedanken über Christoph machen wollen.

In Juttas Blog "Über das Schreiben von Geschichten" könnt ihr mehr erfahren: juttareichelt.com

Morgen gibt es hier im Blog meine Version von Christophs Verschwinden. Denn ich habe ihn gesehen und weiß sicher, wo er geblieben ist.

Bis dahin wünsche ich euch allen viel Vergnügen beim Suchen und Finden von Christoph.